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Wir leben im Plastik-Zeitalter, aber auch im Zeitalter plastischer Körper. Julia Frank (geb. 1988) beschäftigt sich mit Kunststoffen, den unseren Körper, unser größtes Heiligtum, bedrohenden Umweltschadstoffen. Die Modellierbarkeit von Materie erkundete Julia Frank bereits in ihrer Ausstellung The Body Is Our General Medium for Having a World („Der Leib ist unser Medium des Welterlebens“ nach dem bekannten Zitat Maurice Merleau-Pontys), die sie 2015 im Rahmen der Präsentation ihrer Masterarbeit am Londoner Royal College of Art realisierte. Die Arbeiten, die aus verschiedenen Kunststoffgranulaten bestehen, nehmen Bezug auf diverse im Handel vertriebene Produkte (Nahrungsmittel, Spielzeug, Kosmetika oder Putzmittel), die umweltbelastende Substanzen enthalten. Gezeigt werden u.a. ein vakuumgeformter mittelalterlicher Plattenpanzer, der auf dem geöffneten, leeren Gehäuse eines kleinen Kühlschranks platziert ist, oder eine helmartige gelbe Ross-Stirn von der Größe eines Kinderkopfes, deren Beschläge an die Zapfen von LEGO-Bausteinen erinnern. Diese dem Schutz vor Verletzung dienenden Objekte spielen ironisch mit der Tradition mittelalterlicher Militärbauwerke in Schlanders, dem Geburtsort der Künstlerin, und beziehen sich – wie die Künstlerin selbst sagt – auf „Verwertung, Transport und Metamorphose“ des Materials. Solche Vorstellungen lassen an den Prozess plastischen Modellierens denken, ein Verfahren, das interessanterweise gleichermaßen in den Bereichen der Kunst wie der ästhetischen Chirurgie eine Rolle spielt – der Etymologie des griechischen Adjektivs „plastikós“ entsprechend, das etwas Formbares bezeichnet und das daher einen Prozess permanenter Gestaltveränderung durchläuft.
Bereits seit den 1960er-Jahren beeinflusste das Vermächtnis der phänomenologischen Theorien Maurice Merleau-Pontys die ästhetischen Verfahren zeitgenössischer Bildhauer, die geradezu besessen waren von dessen Konzept der Aktivierung von Objekten. Auch Franks künstlerische Werke bewegen sich in dieser Tradition, die in den 1990er-Jahren mit der Installations- bzw. relationalen, also partizipatorischen Kunst ihren Höhepunkt fand, wobei minimalistisch-abstrakte Skulptur, Publikum, Bewegung und Perzeption eng miteinander verknüpft waren. Der Titel von Franks Ausstellung bezieht sich unverhohlen auf den französischen Philosophen und den von den Werken initiierten Austausch zwischen Publikum und Künstler.
Mit ihrem Ansatz löst sich Frank also von dem für traditionelle Skulptur typischen Anthropozentrismus, um sich stattdessen auf den komplexen transmutierenden Bereich anorganischer Objekte zu konzentrieren.
In ihrer künstlerischen Praxis setzt Frank diesen Austausch, bei dem im Körper alle interagierenden Elemente zusammenlaufen, anders um. Im Gegensatz zu Werken der Minimal Art, die den Betrachter nötigten, die Aufmerksamkeit auf seine Mitwirkung an der Konstitution eines Kunstwerks zu richten und damit den Akt der Wahrnehmung fokussierten, verlangt die Künstlerin hier keinen körperlichen Einsatz. Mit ihrem Ansatz löst sich Frank also von dem für traditionelle Skulptur typischen Anthropozentrismus, um sich stattdessen auf den komplexen transmutierenden Bereich anorganischer Objekte zu konzentrieren. Dies erfolgt durch die Verwendung industrieller Materialien und Techniken wie den Einsatz von 3D-Scannern oder Acrylfarben, die lebendige Formen und Objekte auf digitalem Wege imitieren und transformieren. Ihre künstlerische Produktion legt die technischen Verfahren bzw. die ihnen zugrunde liegenden chemischen und physikalischen Prozesse offen. Zuweilen tritt neben diesen Ansatz die Adaption vorgefundener Objekte oder Situationen. Bei ihrer Installation Savoir Vivre in der Villa Arson in Nizza (2014) etwa übertrug sie das Fliesenmuster des Außenbereichs mit Abdrücken schwarzer und brauner Schuhcreme in einen Innenraum des Museums. Diese Methode wurde auch in anderen Werken aufgegriffen, in denen im städtischen Umfeld vorkommende Materialien wie Asphalt und Schmutz zum Einsatz gelangten: In der Video-Performance Body Surface Area: London (2014) hinterlässt Schmutz visuelle Spuren auf der Oberfläche einer auf einen Keilrahmen gespannten Leinwand, welche die Künstlerin auf einem Fußmarsch von Battersea nach Kensington hinter sich herschleifte.
Mit ihrem Procedere lenkt Frank die Aufmerksamkeit darauf, dass der vom Menschen geschaffenen Umwelt und dem Körper gleiche Bedeutung zukommt. Der Körper und seine Umgebung formen einander unablässig gegenseitig – ein Gedanke, den auch ihr Ausstellungsbeitrag für das Museion reflektiert, dessen subtile Inszenierung an ein belebtes häusliches Ambiente nach Art eines Wohnzimmers denken lässt. Die Inszenierung zeigt, wie die Wurzeln der Identität in die gefühlsbestimmten Kreisläufe des Alltagslebens reichen, die fest in der Kultur verankert sind. Mit diesem Ansatz scheint sie der Theorie des amerikanischen Psychologen und Philosophen William James zu folgen, der in The Principles of Psychology (1890) feststellt: „Formbarkeit bedeutet den Besitz einer Struktur, die zwar schwach genug ist, einem Einfluss nachzugeben, doch stark genug, nicht allem sofort zu weichen.“ Mit anderen Worten: Aus einer formbaren Substanz bestehen bedeutet, empfänglich zu sein für Einflüsse von außen, doch die Integrität eines Subjekts wird durch die affektiven und destruktiven Einwirkungen von seiten der Welt nicht aufgehoben. Indem sie materiell fluktuieren, sind unsere Körper modellierbar. Selbst die Wahrnehmung ist für Merleau-Ponty physiognomisch und damit in ihrer Form veränderbar. Dank dieser Formbarkeit bilden wir unsere Identität aus: Wir geben nach, wenn Dinge und Situationen auf uns einwirken, doch unsere Kultur bewahrt uns davor, dabei zu weit zu gehen.
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Wir leben im Plastik-Zeitalter, aber auch im Zeitalter plastischer Körper. Julia Frank (geb. 1988) beschäftigt sich mit Kunststoffen, den unseren Körper, unser größtes Heiligtum, bedrohenden Umweltschadstoffen. Die Modellierbarkeit von Materie erkundete Julia Frank bereits in ihrer Ausstellung The Body Is Our General Medium for Having a World („Der Leib ist unser Medium des Welterlebens“ nach dem bekannten Zitat Maurice Merleau-Pontys), die sie 2015 im Rahmen der Präsentation ihrer Masterarbeit am Londoner Royal College of Art realisierte. Die Arbeiten, die aus verschiedenen Kunststoffgranulaten bestehen, nehmen Bezug auf diverse im Handel vertriebene Produkte (Nahrungsmittel, Spielzeug, Kosmetika oder Putzmittel), die umweltbelastende Substanzen enthalten. Gezeigt werden u.a. ein vakuumgeformter mittelalterlicher Plattenpanzer, der auf dem geöffneten, leeren Gehäuse eines kleinen Kühlschranks platziert ist, oder eine helmartige gelbe Ross-Stirn von der Größe eines Kinderkopfes, deren Beschläge an die Zapfen von LEGO-Bausteinen erinnern. Diese dem Schutz vor Verletzung dienenden Objekte spielen ironisch mit der Tradition mittelalterlicher Militärbauwerke in Schlanders, dem Geburtsort der Künstlerin, und beziehen sich – wie die Künstlerin selbst sagt – auf „Verwertung, Transport und Metamorphose“ des Materials. Solche Vorstellungen lassen an den Prozess plastischen Modellierens denken, ein Verfahren, das interessanterweise gleichermaßen in den Bereichen der Kunst wie der ästhetischen Chirurgie eine Rolle spielt – der Etymologie des griechischen Adjektivs „plastikós“ entsprechend, das etwas Formbares bezeichnet und das daher einen Prozess permanenter Gestaltveränderung durchläuft.
Bereits seit den 1960er-Jahren beeinflusste das Vermächtnis der phänomenologischen Theorien Maurice Merleau-Pontys die ästhetischen Verfahren zeitgenössischer Bildhauer, die geradezu besessen waren von dessen Konzept der Aktivierung von Objekten. Auch Franks künstlerische Werke bewegen sich in dieser Tradition, die in den 1990er-Jahren mit der Installations- bzw. relationalen, also partizipatorischen Kunst ihren Höhepunkt fand, wobei minimalistisch-abstrakte Skulptur, Publikum, Bewegung und Perzeption eng miteinander verknüpft waren. Der Titel von Franks Ausstellung bezieht sich unverhohlen auf den französischen Philosophen und den von den Werken initiierten Austausch zwischen Publikum und Künstler.
Mit ihrem Ansatz löst sich Frank also von dem für traditionelle Skulptur typischen Anthropozentrismus, um sich stattdessen auf den komplexen transmutierenden Bereich anorganischer Objekte zu konzentrieren.
In ihrer künstlerischen Praxis setzt Frank diesen Austausch, bei dem im Körper alle interagierenden Elemente zusammenlaufen, anders um. Im Gegensatz zu Werken der Minimal Art, die den Betrachter nötigten, die Aufmerksamkeit auf seine Mitwirkung an der Konstitution eines Kunstwerks zu richten und damit den Akt der Wahrnehmung fokussierten, verlangt die Künstlerin hier keinen körperlichen Einsatz. Mit ihrem Ansatz löst sich Frank also von dem für traditionelle Skulptur typischen Anthropozentrismus, um sich stattdessen auf den komplexen transmutierenden Bereich anorganischer Objekte zu konzentrieren. Dies erfolgt durch die Verwendung industrieller Materialien und Techniken wie den Einsatz von 3D-Scannern oder Acrylfarben, die lebendige Formen und Objekte auf digitalem Wege imitieren und transformieren. Ihre künstlerische Produktion legt die technischen Verfahren bzw. die ihnen zugrunde liegenden chemischen und physikalischen Prozesse offen. Zuweilen tritt neben diesen Ansatz die Adaption vorgefundener Objekte oder Situationen. Bei ihrer Installation Savoir Vivre in der Villa Arson in Nizza (2014) etwa übertrug sie das Fliesenmuster des Außenbereichs mit Abdrücken schwarzer und brauner Schuhcreme in einen Innenraum des Museums. Diese Methode wurde auch in anderen Werken aufgegriffen, in denen im städtischen Umfeld vorkommende Materialien wie Asphalt und Schmutz zum Einsatz gelangten: In der Video-Performance Body Surface Area: London (2014) hinterlässt Schmutz visuelle Spuren auf der Oberfläche einer auf einen Keilrahmen gespannten Leinwand, welche die Künstlerin auf einem Fußmarsch von Battersea nach Kensington hinter sich herschleifte.
Mit ihrem Procedere lenkt Frank die Aufmerksamkeit darauf, dass der vom Menschen geschaffenen Umwelt und dem Körper gleiche Bedeutung zukommt. Der Körper und seine Umgebung formen einander unablässig gegenseitig – ein Gedanke, den auch ihr Ausstellungsbeitrag für das Museion reflektiert, dessen subtile Inszenierung an ein belebtes häusliches Ambiente nach Art eines Wohnzimmers denken lässt. Die Inszenierung zeigt, wie die Wurzeln der Identität in die gefühlsbestimmten Kreisläufe des Alltagslebens reichen, die fest in der Kultur verankert sind. Mit diesem Ansatz scheint sie der Theorie des amerikanischen Psychologen und Philosophen William James zu folgen, der in The Principles of Psychology (1890) feststellt: „Formbarkeit bedeutet den Besitz einer Struktur, die zwar schwach genug ist, einem Einfluss nachzugeben, doch stark genug, nicht allem sofort zu weichen.“ Mit anderen Worten: Aus einer formbaren Substanz bestehen bedeutet, empfänglich zu sein für Einflüsse von außen, doch die Integrität eines Subjekts wird durch die affektiven und destruktiven Einwirkungen von seiten der Welt nicht aufgehoben. Indem sie materiell fluktuieren, sind unsere Körper modellierbar. Selbst die Wahrnehmung ist für Merleau-Ponty physiognomisch und damit in ihrer Form veränderbar. Dank dieser Formbarkeit bilden wir unsere Identität aus: Wir geben nach, wenn Dinge und Situationen auf uns einwirken, doch unsere Kultur bewahrt uns davor, dabei zu weit zu gehen.
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